Grünkorridore – Lebensadern der Landschaft

Nicht nur Touristen und Durchreisende, die die großflächig ausgeräumten Agrarwüsten anderer Landstriche im Norden und Osten Deutschlands vor Augen haben, freuen sich über die vergleichsweise ansehnliche Zahl naturnaher Landschaftselemente, die sich im westlichen Teil des Landkreises Göttingen – namentlich im Naturpark Münden – mancherorts noch erhalten haben. Eine heile, weithin noch intakte Landschaft – wie vielen auf den ersten Blick erscheinen mag!

Doch bei näherem Hinsehen wird deutlich, dass nicht wenige der oft malerischen Landschaftselemente kaum noch mehr als eine grüne Kulisse darstellen – kümmerliche Reste ihrer selbst, umflutet von einem Ozean wuchernder, zunehmend intensiver bewirtschafteter Ackerflächen. Ein immer dichteres Geflecht von Verkehrswegen, Siedlungs- und Gewerbeflächen, die mehr und mehr unüberwindbare Barrieren zwischen den noch überbliebenen, nur selten noch in Kontakt miteinander stehenden Naturarchipelen bilden, verstärken den Trend zur Verinselung. Nicht nur einzeln stehende Bäume, Gebüschgruppen und Kleingewässer, auch größere Wald- und Grünlandinseln geraten auf diese Weise in eine zunehmend kritische Isolationslage.
Alleine die großräumigen Waldkomplexe – Solling, Bramwald und Kaufunger Wald – finden aufgrund ihrer weit verzweigten Ausläufer zumindest punktuell Anschluss an benachbarte Waldlandschaften und bilden so ökologische Verbindungsachsen zu weiter entfernt liegenden Regionen. Expandierende Verkehrswegenetze und das stetig wachsende Verkehrsaufkommen haben jedoch zur Folge, dass auch diese zunehmend zerschnitten, fragmentiert und isoliert werden.

Immer schwerer fällt es vor allem seltenen, weit verstreuten Tier- und Pflanzenvorkommen, den Kontakt zu anderen Populationen der eigenen Art und damit auch den Genomaustausch aufrecht zu erhalten, welcher für den Fortbestand einer Spezies auf lange Sicht unerläßlich ist. Da die Distanzen zwischen den Inselvorkommen stetig zunehmen und eine Vielzahl künstlicher Wanderungsbarrieren und Gefährdungsfaktoren oft weite, risikoreiche Umwege erzwingen, enden nicht wenige der – ohnehin nur noch spärlichen – Zuwanderungsversuche heute im Nichts. Von Inzucht bedroht sind in erster Linie flugunfähige, an spezifische Lebensräume gebundene Organismen, die eine ausgeprägte Standorttreue bzw. nur geringe Migrationsneigung zeigen. Betroffen ist aber auch so manche Vogel- und Insektenart, die sich – obgleich im Prinzip uneingeschränkt flugfähig – nur sehr ungern in offene, deckungsarme Landschaften hinauswagt. Vor allem waldbewohnende Arten neigen zu entsprechenden Verhaltensweisen.

Angesichts der fortschreitenden Fragmentierung unserer Landschaften und der damit einhergehenden Isolierung der Lebensräume seltener Tier- und Pflanzenarten stellt die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der Verbindungen zwischen den Populationen eine grundlegende, in vielen Fällen unabdingbare Voraussetzung für den langfristigen Erhalt einer Art dar. Bedeutenden Nachdruck erhält diese Forderung durch das Europäische Biotopverbundsystem Natura 2000, dessen Grundlagen u.a. in der Konvention über biologische Vielfalt im Rahmen der UN-Konferenz von Rio de Janeiro im Jahr 1992 gelegt und verabschiedet wurden. Mit der EU-Richtlinie 92/43/EWG (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) und ihrer Umsetzung in nationales Recht – u.a. im Bundesnaturschutzgesetz von 1998 – erlangten die Vorgaben der Konvention auch für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verbindlichen Charakter.

Leitziel des Europäischen Biotopverbundsystems ist die Schaffung eines kohärenten, länderübergreifenden Netzes von besonderen Schutzgebieten innerhalb der Europäischen Union, die damit quasi das Rückgrad der Schutzbemühungen zugunsten der Vielzahl gefährdeter wildlebender heimischer Pflanzen- und Tierarten und ihrer natürlichen Lebensräume bilden sollen. Im überwiegend dicht besiedelten Mitteleuropa zweifelsohne eine Herausforderung besonderer Qualität, steht doch der Artenschutz hier vielerorts in direkter Konkurrenz zu einer Vielzahl gegenläufiger, überwiegend kommerzieller Nutzungsansprüche anderer Interessengruppen.

Ob und inwieweit die Natura 2000-Ziele wirklich erreicht werden, hängt in nicht unerheblichem Maße von der Dichte, der Kohärenz und der qualitativen-kapazitiven Ausstattung der einzelnen FFH-Gebiete ab, welche die kleinsten Einzelbausteine des o.g. Schutzgebietssystems bilden. Dabei steht außer Frage, dass eine wirksame Wiedernetzung der Lebensräume alleine durch Deklarierung insularer Schutzgebiete, die häufig bereits bestehen, nicht zu gewährleisten ist. Wenngleich auch isoliert liegende Insel-Biotope von zahlreichen, allen voran von flugfähigen Arten gefunden und als sog. Trittstein-Biotope genutzt werden, bleiben diese doch für eine Vielzahl anderer, insbesondere weniger mobile und sehr anspruchsvolle Arten oft unerreichbar. Von elementarer Bedeutung ist es daher, solche Areale auch für Pflanzen- und Tierarten zu erschließen, die an einem Tag nur kurze Wanderstrecken zurücklegen und dabei überdies vom Menschen stark geprägte, namentlich intensiv genutzte Landstriche mehr oder minder meiden.

Einen maßgeblichen Beitrag hierzu leisten können insbesondere Grünkorridore – naturnahe, überwiegend lineare Vernetzungselemente, die eine wirksame Verbindung zwischen weit voneinander entfernten und isoliert in der Landschaft verstreuten Lebensrauminseln herstellen.
Ein herausragender Stellenwert kommt hierbei vor allem linienartigen Gehölzstrukturen zu, allen voran die klassischen Feldhecken, die – wenngleich heute vielerorts stark dezimiert oder nahezu verschwunden – in weiten Teilen Europas das Bild der Kulturlandschaft mitprägten. Regional finden sich auch Sonderformen wie etwa Wallhecken, Knicks oder Baumalleen, die auf eine lange, oft weit zurückreichende landschaftshistorischen Tradition zurückblicken können und in gleicher Weise zur räumlichen Strukturierung und Gliederung der Kulturlandschaft beitragen wie die für Südniedersachsen einstmals charakteristischen Feldhecken.

Vornehmlich mit Gehölzen bestockte Begleitstrukturen, obgleich mitunter nur noch als spärliche Relikte, finden sich jedoch nicht alleine entlang von Feldwegen, Straßen oder Bahnstrecken. Auch Fließgewässer sind hier oder dort noch auf Teilabschnitten von Gehölzen gesäumt, seien es einfache, in Reihe gepflanzte Solitärbäume oder sogar breitere, ansehnliche Auenwaldgürtel – in unseren weithin ausgeräumten Kulturlandschaften allerdings ein höchst seltener Anblick! Aufgrund ihrer vielfach weit- und kleinräumigen Verzweigung erweisen sich Fließgewässer niederer Ordnung heutzutage vielerorts als einziges, noch halbwegs erhaltenes und auf längere Strecken durchgängiges Vernetzungselement – gerade in intensiv genutzten Agrarlandschaften. Ob und in welchem Maße ein Gewässerlauf aber noch eine ökologische Verbindungsfunktion zwischen zwei oder mehreren Lebensräumen erfüllt, steht meist in enger Korrelation zu seinem Beeinflussungsgrad durch den Menschen (= Hemerobiegrad) bzw. seinem Natürlichkeitsgrad. Doch selbst bei einer weit fortgeschrittenen ökologischen Degradierung erscheint es zumeist sinnvoll, die Wiedervernetzung einer Landschaft vorzugsweise an dem noch existenten Fließgewässersystem auszurichten, bieten diese doch in vielerlei Hinsicht günstige Voraussetzungen. Hier finden sich nicht nur am ehesten noch das eine oder andere überbliebene Strukturelement, etwa eine Strauchgruppe oder ein solitärer Altbaum, das als Grundgerüst eines neu anzulegenden Grünkorridors dienen kann. Staunässe und gelegentliche Überschwemmungen führen nicht selten auch dazu, daß die Eignung gewässernaher Standorte für den Ackerbau stark eingeschränkt ist, wodurch die Chancen für einen Flächenerwerb für Zwecke des Natur- und Artenschutzes deutlich günstiger liegen als bei Ackerflächen besserer Bodenqualität.